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Auf den Spuren von Cranach, Dürer und Stradivari: Der Chemiker Georg Kremer entlockt der Natur die Pigmente der alten Meister.

Gewinnung von „Fra-Angelico-Blau”, einem der kostbarsten Pigmente der Welt:

Lapislazuli wird zerschlagen,

gemahlen, mit Wachs, Harz und Öl vermischt

dann in einem Leinenbeutel gewaschen.

Die Pigmente am Boden der Schüssel werden

getrocknet und gesiebt.

feinwiegen gehört ebenso dazu

Drachenblut, getrockneter Farbstoff des Tintenfisches, rot fermentierter Reis, verkohltes Elfenbein, Curcuma-Pulver, Galläpfel, Faulbaumrinde, Walnuss-Schalen. Dazu Wismut, Tintenstein, russische Jade, spanischer Ocker und Bergkristallpulver. Ein Extrakt aus Purpurschnecken – das Gramm für 2000 Euro – und getrocknete Farbläuse: So mischt sich das Sortiment eines Magiers. Seine wertvollsten Stoffe sind kostbarer als Gold.
Lächelnd winkt Georg Kremer ab. Der promovierte Farbenmacher aus Aichstetten im Allgäu sieht sich nicht als geheimnisvollen Alchemisten, sondern vielmehr als wissenschaftlichen Analytiker, der auf der Suche nach Rezepturen aus vergangenen Zeiten ist. Seine Lieferanten forschen nach Bezugsquellen für die Materialien zur besonderen Farbgestaltung. Aus edlen Steinen, Erden, Glas, Pflanzen und Tieren gewinnt der Chemiker in seiner Farbenmühle die Pigmente der alten Meistermaler. Der 55-Jährige hat die Geheimnisse ihrer Herstellung wieder entdeckt und liefert die Pulver an mehr als 100000 Künstler und Restauratoren in aller Welt.
Vor gut 26 Jahren hat alles angefangen -mit einem halben Gramm Smalte. „Ein Freund brauchte damals Hilfe bei der Restaurierung einer Kirchendecke in London”, erinnert sich Kremer. Gesucht wurde Smalte, ein blaues Pigment, das aus einem bei fast 1200 Grad gebackenen Glaskuchen aus Quarzsand und Kobalterz gewonnen wird. Die letzte Herstellerfirma hatte ihre Pforten 1910 für immer geschlossen. Kremer, damals Student in Tübingen, machte sich an die Arbeit – und hatte mit der relativ einfachen Produktion eine Marktnische für die erhoffte Selbstständigkeit gefunden.

Palast der Pigmente: die Farbmühle in Aichstetten,

Denn nicht nur Restauratoren tupfen ihre Pinsel am liebsten in die Pigmente, die schon die Maler vergangener Jahrhunderte benutzt haben. Immer mehr Künstler, Architekten und sogar Geigenbauer ziehen die neu zu entdeckenden alten Produkte den billigeren, massenhaft hergestellten Industriefarben vor. Als Kremers Keller im schwäbischen Rottenburg als Produktionsplatz zu klein wurde und sich die Vision vom Arbeiten und Wohnen unter einem Dach im Raum Stuttgart nicht verwirklichen ließ, kaufte er Mitte der 80er-Jahre eine Mühle im Südwesten von Memmingen. Inzwischen nährt das Unternehmen mit seinem Millionenumsatz nicht nur die eigene Familie, sondern auch rund 30 Mitarbeiter – der abseits gelegene Weiler Aichstetten gilt heute als das europäische Zentrum für den Handel mit traditionellen Pigmenten.

in dem die Pigmente abgewogen und

Während Kremers Frau im Wohnzimmer den Kachelofen einheizt [den Ruß des Buchenholzfeuers verarbeiten später die Laboranten zu Bister, einer historischen Tinte, mit der früher Bibeln geschrieben wurden], spricht der Meister von der Grammatik der Farben. „Wie Worte im Laufe der Zeit verloren gingen, sind auch Farben verschwunden. Ich versuche, sie wieder zu finden”, erklärt er seine Leidenschaft für historische Rezepte, für alte und neue Naturstoffe. Dafür hat er berühmte Vorbilder: „Lucas Cranach zum Beispiel hatte noch selbst eine Apotheke und handelte mit den verschiedensten Substanzen. Er mischte in seinem Atelier die Farben und malte dann seine Bilder.” Doch ab Mitte des 19. Jahrhunderts setzten sich die industriell hergestellten Farben durch. Die wachsenden Erkenntnisse der Wissenschaftler ließen die Zahl der neu entdeckten Substanzen explodieren, die traditionellen wurden an den Rand gedrängt.

verpackt werden, ein Sack mit Färberdistel und

Der Fortschritt in der Chemie hat vor allem kostengünstige Lösungen ermöglicht. Aber die heute anstelle der Naturfarben verwendeten Ersatzstoffe haben andere Eigenschaften als ihre meist aus Mineralien oder organischem Material hergestellten Vorgänger. Während beispielsweise Autolacke möglichst gleichmäßig und dünn aufgetragen werden sollen, bemühen sich Kunstmaler und Restauratoren um eine größtmögliche Differenzierung und nehmen an einem größeren Volumen keinen Anstoß. „Meine Kunden rechnen nicht in Farbe pro Quadratmeter. Ihre Maßeinheit ist die Schönheit”, sagt der Besitzer der Farbmühle, der mittlerweile eigene Läden in München, Stuttgart und New York eröffnet hat, sein den Globus umspannendes Netzwerk aber weiterhin aus dem Allgäu koordiniert.


ein Regal mit rund 500 Pigmentproben.

Anders als bei künstlichen Farben mit geschlossener Oberfläche leuchtet bei Kremers aus Mineralien hergestellten Pigmenten unter dem Mikroskop ein Sternenhimmel aus kleinen Kristallen. „Eine Wechselwirkung mit dem Licht findet hier nicht nur an der Oberfläche, sondern auch im Innern der Farbschicht statt.” Solche Farben sind meta-mer [= in hintereinander liegende, gleichartige Abschnitte gegliedert], ihr Eindruck verändert sich je nach Beleuchtung und Feuchtigkeit. Statt in sterilem Einheitsweiß leuchtet Kremers Farbmühle deswegen je nach Wetterlage mal dezent, mal intensiv in den Farbtönen des italienischen Goldockers und venezianischen Rots – eine Reminiszenz an die Herrschaft Vorderösterreichs in der Region und dessen intensive Verbindung zu den Kaufleuten in Venetien.

Ein Kraftwerk im Haus: Die Mühle produziert ihre Elektrizität selbst

60 historische Farben hat Georg Kremer seit der Gründung seines Unternehmens rekonstruieren können. Wenn nach langwierigem Studium von Schriften und Büchern endlich eine jahrhundertealte Rezeptur entschlüsselt ist, steht die nächste Herausforderung an: Der Chemiker begibt sich auf die Suche nach den benötigten Naturstoffen. Kremer forscht nach Zinkoxyden aus Peru, recherchiert, wer Safran, Indigo und Sandelholz in der gewünschten Qualität beschaffen kann. Eine langwierige Angelegenheit: Sieben Jahre dauerte es zum Beispiel, bis er per Zufall in den französischen Seealpen auf genau jenen Violett-Ton stieß, den die Restauratoren der Schweizer Benediktinerabtei Maria Einsiedeln für die Restaurierung der Klosterkirche nicht auftreiben konnten.
Schaufel, Sack und Spitzhacke liegen stets im Kofferraum, wenn der Farbenmacher auf Reisen geht. An 30 bis 40 Stellen baut er so pro Jahr einige Zentner Gestein ab – an seit Jahrhunderten bekannten Brüchen oder an Stellen, die außer ihm nur wenige kennen.

mithilfe des Flusswassers.

Trotzdem produziert Georg Kremer nur einen kleinen Teil der von ihm vertriebenen rund 1000 Pigmente selbst. Der Großteil stammt von Lieferanten, die – wie er betont – auf die Qualität ihrer Produkte großen Wert legen. Seine 122 Seiten starke Preisliste verzeichnet die verschiedensten Materialien: diverse Mörtel, besondere synthetische Farben, Öle, Balsame und Wachse – eine wahre Fundgrube für einschlägig Interessierte. Am Rande des kleinen Flüsschens Aitrach, das auch die Stromversorgung des Unternehmens sichert, entstehen lediglich diejenigen Pigmente, die in aufwändiger Handarbeit hergestellt werden müssen und entsprechend teuer sind. Eingelagert in Kunststofftonnen warten Pyrit, Malachit, Roter Jaspis, Bergkristall, Azurit, Spanischer Ocker, Zinnober, Bleizinngelb, Purpurit, Grüner Porphyr und verschiedene Glimmer auf ihre Verwendung. „Mutter Natur hat viele hübsche Töchter”, antwortet Georg Kremer auf die Frage nach dem Pigment, das er am meisten schätzt. Das wertvollste, das er herstellt, ist das „Fra-Angelico-Blau”, das der Chemiker nach dem Schöpfer der berühmten Fresken im Florentiner Markuskloster benannt hat. Als der große Meister der Frührenaissance seine Werke vor über 500 Jahren schuf, wurde bereits bei Vertragsabschluss festgelegt, wie viel von der kostbaren Farbe er verbrauchen durfte. Heute kostet ein Kilogramm 15 000 Euro. Denn es dauert Tage, bis aus dem gemahlenen Lapislazuli das reinste Ultramarin entsteht – nur •wenige Gramm aus einem Kilo Stein.
Dazu zerschlägt der Laborant zunächst die größeren Steinbrocken im gusseisernen Mörser und entfernt Kalkablagerungen und Pyritsplitter. Der an einen Nussknacker erinnernde „Backenbrecher” zerkleinert dann erneut das Material. Zwischen den rotierenden Metallscheiben einer elektrischen Mühle und in Mahlkörben aus Achat entsteht ein feines Pulver, das der Mitarbeiter in übereinander geschichteten Sieben noch einmal nach seiner Körnung sortiert. Der nach einer geheimen Rezeptur mit Wachs, Harz und Öl angesetzte Staubbrei ruht dann mindestens zwei Tage, bevor er in einem fußel freien Leinensäckchen in lauwarmem Wasser bewegt wird. Beim Auswaschen bleiben am Ende die reinen Pigmente als intensiv blauer Bodensatz zurück. Er wird in einer Schale getrocknet, durch ein Haarsieb gestrichen, in kleine Plastikdosen gefüllt und schließlich als kostbares Pulver in die ganze Welt verschickt.

Alte Rezeptur: Handschrift, entstanden um 1900

Für Restauratoren und Künstler ist es ein Glück, ihre Farben mit Hilfsstoffen und Bindemitteln selbst anrühren und damit die Konsistenz genauestens kontrollieren zu können. Um seine Zukunft braucht sich Georg Kremer keine Sorgen zu machen. Farben, wie er sie herstellt, können nicht beliebig überlagert werden, da der spezifische optische Wirkungsgrad eines Pigments abnirnmt.je mehr es vermischt wird. „Wer Brillanz und Lebendigkeit will, braucht reines Material”, erklärt der Chemiker, „deshalb haben die Maler über Jahrhunderte hinweg immer wieder nach neuen Pigmenten gesucht.” So ist auch für ihn die Entdeckungsreise zu einem alten, verlorenen Farbton stets von Überraschungen begleitet. Von der „Böhmischen grünen Erde” zum Beispiel – einer Standardfarbe bis Mitte des 20. Jahrhunderts – kennt er zwar den Fundort in Tschechien, doch ist das Gelände heute militärisches Sperrgebiet, das Pigment folglich nur schwer zu beschaffen. Ebenso wichtig wie die Kenntnis der alten Rezepturen ist daher das Wissen um die Bezugsquellen im 21. Jahrhundert.

Zerkleinerung von Goldocker

Neben alten Folianten und neuen Computern, neben Kunstzeitschriften und einer verstaubten Kilopackung der „Königlich Bayerisch Privileg. Nürnberger Ultramarin-Fabrik” zieht die große Schauwand im Büro der Farbmühle alle Blicke auf sich. Unzählige Döschen mit bisweilen skurrilen Ingredienzen zeugen von wieder entdeckten Geheimnissen vergangener Jahrhunderte – auch heute noch Material für Buchmalerei und Fresken, Ölbilder und Aquarelle.

Pflanzenfarbstoffe (oben) und Mineralien (mitte), aus denen Farbpigmente (unten) gewonnen werden.

Selbst wer sich auf die Restaurierung von Skulpturen aus Travertin konzentriert, wird hier neuerdings fündig: Kremers Stuckmörtel ‘wurde zum Beispiel für die Ausbesserung der Fontana di Trevi in Rom verwendet. Einige hundert Kilometer weiter nördlich, im Museum zu Cremona, glänzen hinter Panzerglas kostbare Violinen, Violen und Violoncelli. Die hervorragende Klangqualität dieser Instrumente, über deren Ursache seit Jahrhunderten kontrovers diskutiert wird, schreiben Fachleute auch dem seinerzeit verwendeten besonderen Lack zu. Und Georg Kremer führt inzwischen eine Grundierung im Sortiment, deren chemische Zusammensetzung fast genau der Mischung entspricht, die vor gut 300 Jahren Guarneri del Gesü und Antonio Stradivari in ihren Werkstätten anrührten. So treibt das Wissen der alten Meister in der Farbmühle Aichstetten ständig neue Blüten.

von Helge Bendl